674 Tage im Kinderspital…

674 Tage, 96 Wochen, 22 Monate, fast 2 Jahre.
674 mal am Morgen ins Kinderspital fahren, 674 mal sein Kind am Abend alleine da lassen. Und während Draussen das Leben weiterläuft, steht die Zeit im Spital irgendwie still…

Leben im Spital

Wie ist es eigentlich Tag für Tag bei seinem kranken Kind im Kinderspital zu sein, nicht nur für einige Wochen, sondern für Monate? Genau genommen für 22 Monate, davon den grössten Teil auf der Intensivstation.

Unser grosser Kämpfer und kleiner Sonnenschein durfte nach 22 Monaten im Kinderspital endlich das allererste Mal sein Zuhause und die richtige Welt kennenlernen und entdecken. Lange haben wir dafür gekämpft und unendlich viele Hürden gemeistert, viele Rückschläge eingesteckt und irgendwie überwunden. Und auch wenn viele nicht daran geglaubt haben – wir alle miteinander haben es trotzdem geschafft und jeden Tag darum gekämpft, dass wir endlich, endlich nach Hause dürfen!

Wenn man es selbst nicht erlebt hat, kann man sich nicht im Geringsten vorstellen was es heisst, sein Leben im Spital zu verbringen. Auch wenn man versucht zu erklären und erzählen wie es denn so abläuft – man wird mit einem traurigen Blick bedacht, aus dem zu erkennen ist, dass es für «Aussenstehende» nicht fassbar ist was es heisst, jeden Tag bei seinem Kind im Spital zu sein. Viele Tage davon auf der Intensivstation. Viele ganz, ganz schlechte Tage, an denen man teilweise nicht weiss, wie es weitergeht – oder ob es überhaupt weitergeht.

Während andere morgens aufstehen um zur Arbeit zu gehen, bin ich aufgestanden und habe mich auf den Weg ins Kispi gemacht. Ich bin jeden Tag ab 9 Uhr dort gewesen und bin abends erst nach Hause gefahren, als er geschlafen hat. Wenn wir nicht auf der Intensivstation waren, habe ich eigentlich auch alles gemacht, wie Essen sondiert oder Medikamente verabreicht. Da wir so oft und so lange immer auf der Intensivstation waren habe ich auch dort diese Dinge übernommen. Es klingt vielleicht blöd, aber ich habe es gemacht, damit ich etwas zu tun hatte. Denn wenn das eigene Kind monatelang auf der Intensivstation liegt, grösstenteils intubiert ist und beatmet wird, viele Sedationsmedikamente bekommt und dadurch fast durchgehend schläft, sind die Tage sehr, sehr lang. Klar hat die zuständige Pflege auch mal Zeit zum Reden, aber mehrheitlich ist man auf sich gestellt.

Als klar war, dass wir auch die zweiten Weihnachten im Kinderspital verbringen werden – glücklicherweise beide Mal nicht auf der Intensivstation – haben wir uns damit beschäftigt, das Bett unseres Kindes für Weihnachten etwas zu dekorieren (natürlich nicht wie ein Weihnachtsbaum, es ist ja immer noch ein Spitalbett und in einer Notfallsituation können die Ärzte nicht zuerst noch die Deko abnehmen). Aber eine Lichtergirlande oder eine leuchtende Weihnachtskugel. Später im Frühling dann Schmetterlinge auf Folien, die am Fenster klebten. Solche Dinge gehören dann zu den guten Tagen, wenn einfach mal alles läuft wie es soll.

Und dann sind da die anderen Tage, die Tage, die ich nicht mag. Da muss man in der Cafeteria nur gefragt werden wie es denn gehe (ist ja nur lieb gemeint), aber es ist dann einfach alles zu viel und man heult schon nur ab dieser Frage und würde sich am liebsten in einer Ecke verkriechen, weil man möchte ja immer stark sein. Aber es gibt diese Tage, da geht das einfach nicht und man sieht einfach kein Ende und fragt sich warum kann es nicht einmal einfach in die richtige Richtung gehen? Ich muss dazu sagen, dass unser kleiner Kämpfer so ziemlich alle Komplikationen mitgenommen hat, es kommt einem fast so vor als hätte er sich jedes Mal gemeldet, wenn gefragt wurde „Wer hätte denn noch Kapazität für Komplikationen?“. Natürlich wissen wir, dass dem nicht so ist.

Ich kann nach diesen 22 Monaten im Spital (es werden leider immer wieder Spitalaufenthalte folgen) sagen, dass mir die Menschen im Kinderspital immer wieder auch Kraft und Mut gegeben haben die Hoffnung nicht zu verlieren, auch wenn es manchmal echt mega schwer war. Sei es auch nur, dass sie Zeit hatten für einen kleinen «Schwatz», auch mal über etwas anderes zu reden als über die schwere Krankheit meines Kindes. Mit der Zeit wird man selbst zu einer Pflegefachkraft. Man kennt sein Kind in- und auswendig und kann Anzeichen interpretieren, noch bevor sie der Pflege oder den Ärzten auffallen. Es kostet Kraft und Energie, sich dann – gegen andere Meinungen – durchzusetzen. Doch meist liegt man richtig mit der Annahme. Bei meiner Familie und meinem Sohn konnte ich meine Kraftreserven jeweils wieder aufladen. Es bleibt ein Kampf – Tag für Tag. Aber wenn mein Sohn mich anlacht und spielt, gibt es mir die nötige Kraft um immer weiter zu kämpfen.

Ich bin überzeugt, mit der Zeit wird es besser. Es wird vielleicht nicht mehr ein täglicher Kampf sein und die guten Zeiten überwiegen. Wir geniessen einfach jeden Tag wie er kommt. Und das Lachen meines Sohnes zeigt mir, dass es sich lohnt, all diese Strapazen auf sich zu nehmen!

Text und Bilder: C.G.

 

 

4 Kommentare zu “674 Tage im Kinderspital…

  1. Darietta Forrer

    Ich bin sehr gerührt und gleichzeitig tief beeindruckt wieviel Liebe und Ausdauer und Kraft und Glauben ins Leben die Familie hat .Diese grossartige Liebe wird L. sein ganzes Leben begleiten ihm Mut und Kraft geben!Ich bewundere Euch!Ganz liebe Grüsse Darietta

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  2. Inderbitzin rosi

    ich staune, und Frage mich ob ich es so lange im Spital ausgehalten hätte.
    ich weiss es nicht.
    so schön, dass sie das so gekonnt haben.
    ja, da bin ich fest davon überzeugt, dass sie einen neuen Beruf erlernt haben. weit darüber hinaus.
    sie kennen ihr Kind am besten, da sie so viele h bei ihm verbracht haben.
    und man möchte das bestmöglichste für das Kind tun.
    ich habe 2 Kinder die an einer unheilbaren Krankheiten leiden und wenn sie im Spital sind versuche ich auch so viel wie möglich bei Ihnen zu sein. logistisch gesehen schaffe ich es aber nicht immer, da noch 3 jüngere Geschwister mich als Mutter brauchen.
    aber dennoch, Grösse Achtung was sie leisten.

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  3. Ste

    Das zu lesen war als hätte ich es geschrieben. Auch unser Sohn war sehr lange im Kispi. Zwar „nur“ 11 Monate, aber eigentlich nur auf der Intensivstation und Langzeitintensiv. Auch nach der Entlassung waren wir immer wieder für Tage da. Heute sind wir sehr dankbar geht es ihm so gut und wir nur noch zur Kontrolle ins Kispi müssen. Zum Glück war es nur 30 Min. Fahrt mit dem Auto, aber immer das hin und her fahren jeden Tag durch den Stau war sehr schlimm.
    Ich bewundere euch für die 22 Monaten, das sind dann doppelt so viele wie wir hatten. Ich hoffe euch geht es gut und ihr seht das Kispi nur noch für die Kontrollen. Alles Gute Euch

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