Nael Löwenherz – Leben mit halbem Herz

5. Mai – Tag des herzkranken Kindes

Vielleicht siehst du sie kommen. Vielleicht erwischt sie dich völlig unerwartet. Aber dann ist sie da. Die Welle. Sie bricht über deinem Kopf. Drückt dich unter Wasser. In die Kälte, die Dunkelheit, das Nichts. Nimmt dir jegliche Orientierung, die Luft zum Atmen.
Dann rollt sie über dich hinweg. Du schnappst nach Luft. Versuchst dich zu orientieren. Das Wasser ebnet sich, der Sturm zieht weiter. Alles scheint normal. Wie immer. Wie vorher. Und doch ist plötzlich alles anders.

(St. Steiner, August 2012)

An einem heissen Tag im August kommt Nael zur Welt. Die Geburt ist geplant, Ärzte stehen bereit. Nael ist blau, als ich ihn das erste Mal sehe. Doch nach kurzer Zeit schreit er und sie nehmen ihn mit. Schliessen ihn an Kabel an, legen Zugänge in seine kleinen Händchen und Füsschen.
Dann darf ich ihn ein paar Minuten halten, bevor er ins Kinderspital verlegt wird.

Naels linke Herzseite ist viel zu klein, Aortenklappe und Aorta verkümmert. Hypoplastisches Linksherz, das haben wir bereits in der 19. Schwangerschaftswoche erfahren. Der Kreislauf wird durch Medikamente aufrechterhalten, an seinem 9. Lebenstag wird Nael zum ersten Mal an der Herz-Lungen-Maschine operiert.

Nael – Sohn des Löwen (afrik).
Wie ein Löwe kämpft Nael. Immer wieder. Während Wochen und Monaten sind wir im Spital. Gefangen in dieser Blase aus Krankheit, Operationen, Ärzten und Ungewissheit. Draussen fliesst das Leben farbig und schnell, drinnen ziehen sich Tage und Stunden zäh dahin. Zu Hause die gesunde Schwester. Morgens fröhliches Kinderlachen – nachmittags monotones Monitor-Piepen. Tomatensauce bis an die Ohren – fettfreie Ernährung über die Magensonde. Plappermaul – künstliche Beatmung. 

Nael – Sieger, der alles schaffen kann (arab).
6.5 Jahre später liegt ein langer Weg hinter Nael. Und hinter uns. 3 grosse Herzoperationen. Akuter Sauerstoffmangel. Multiorganversagen. Sauerstofftherapie. Magensonde. Medikamente. Fast schon ein kleines Krankenhaus zu Hause. Viele kleinere Eingriffe. Herzkatheteruntersuchungen. Tränen. Kampf. Und ganz viel Liebe und Lachen. Denn da ist Nael: ein fröhlicher, kleiner Lausbub, der mit seinem Lachen und seinen blonden Locken alle um den Finger wickelt.

Nael hat uns verändert. Er hat uns Prioritäten anders setzen lassen. Er hat uns viel gelehrt. Mut zu Unbekanntem. Geduld. Kleine Dinge wertzuschätzen.

Früher konnte ich mir nie ein Leben mit einem Kind mit Behinderung vorstellen, heute kann ich mir mein Leben nicht mehr ohne vorstellen. Es ist anders. Es ist oft anstrengend. Es braucht viel Kraft. Aber es lohnt sich, immer und immer wieder!

Nael ist nicht allein mit diesem Herzfehler. Rund 30 Kinder werden jährlich mit einer fehlenden Herzkammer geboren, jedes 100. Kind in der Schweiz mit einem Herzfehler. Am 5. Mai, am Tag des herzkranken Kindes, macht der Verein Fontanherzen Schweiz mit der nationalen Kampagne „Zeig Herz, trag rot“ auf herzkranke Kinder aufmerksam und will die Öffentlichkeit sensibilisieren. Die Narben unter ihrer Kleidung versteckt, sieht man ihnen nämlich ihre Krankheit meist nicht an.

Zum 4. Mal findet die nationale Aktion „Zeig Herz, trag rot“ statt.

In den vergangenen Monaten wurden rund 2000 rote Mützchen von Freiwilligen genäht, gehäkelt und gestrickt. Zusammen mit einem Flyer werden sie am 5. Mai in vielen Schweizer Spitäler auf Wochenbett- und Neugeborenenstationen verteilt.

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